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Hyperventilierende Superlative

Hyperventilierende Superlative

Superlative, also die Steigerung der Steigerung, sind in seriösem Journalismus verboten. Das Größte, Schönste, Tollste ist nur dann auch wirklich das Schöne, Wahre, Gute, wenn es ganz alleine oben an der Spitze steht. Wenn es also seinen eigenen Superlativ rechtfertigt.

Warum keine Superlative?

Seriöse Texte in seriösen Zeitungen sind natürlicherweise keine Fundgruben atemberaubender Übertreibungen und wirken daher auf den ersten Blick ein wenig dröge. Dass die Bild-Zeitung in nicht nur dieser Frage einen etwas mutigeren journalistischen Kurs fährt, verwundert nicht weiter – aber eine Frage stellt sich: Wenn Journalismus meist von Außergewöhnlichem und Besonderem berichtet und Spitzenleistungen im Sport, in der Kunst und auf der DAX-Tafel sucht – warum verbietet sich dann die grammatikalische Form, die diese Spitzenleistungen sprachlich würdigen kann? Warum keine Superlative?

In der Ruhe liegt die Kraft.

Prahlerei ist unsympathisch

Man kennt das ja aus der Nachbarschaft: Understatement, sich ein wenig zurücknehmen, nicht mit seiner Spitzenleistung zu prahlen macht sympathisch. Aufzutrumpfen und überheblich zu sein reduziert das Sympathiekonto. Was im menschlichen Umgang stimmt, ist auch bei Texten richtig: Sparsame Vokabeln, zurückhaltende Grammatik, unpompöser Satzbau machen unprätentiöse Texte zu guten Texten, die man gerne liest, weil sie sympathisch und leicht wirken. Eine schwere Superlativ-Soße über den frischen Salat gegossen erdrückt die feinen Blättchen. Ein Superlativ, der nicht explizit ausgesprochen werden muss, sondern sich durch eine präzise Beschreibung von selbst ergibt, ist selbstverständlich eindrücklicher als eine großspurige, aber fragwürdige Behauptung.

Luft nach oben

Und die Mathematik spielt eine Rolle: Wenn es nur noch Superlative gibt, gibt es keine mehr. Sie nivellieren sich gegenseitig. Ein Text muss immer auch noch Luft nach oben haben für den einen echten, unzweifelhaft angemessenen Superlativ. Er muss als Solitär in der Ebene stehen wie der Kilimandscharo – um umso eindrücklicher seine Herausgehobenheit demonstrieren zu können.

Und schließlich ist es unser Überdruss an dieser megagehypten hypergeilen Ultimativsprache: Wir können viele dieser übertrieben überdrehten Sprachvolten nicht mehr hören, weil sie uns zu den Ohren herauskommen. Weil sie einen immensen Adjektiv-Verschleiß haben. Und wie wir von Mark Twain ja seit Jahrhunderten wissen, ist die Großwildjagd auf Adjektive die wichtigste Aufgabe von Journalisten (nach der noch wichtigeren Jagd auf Superlative natürlich).

  • Man ist nicht einfach mehr traurig, man muss ja gleich todtraurig sein.
  • Man ist nicht einfach leicht angesäuert, man muss ja gleich stinksauer sein.
  • Glücklich zu sein reicht auch nicht mehr, man ist selbstverständlich überglücklich.
  • Stille entspannt erst richtig, wenn sie totenstill ist.
  • Und als Idiot geht man noch viel zu klug durchs Leben, erst als Vollidiot erzielt man volle Aufmerksamkeit…
  • to be continued

Zu viele Worte, zu viele Komposita machen Texte nicht nur “schwer”, sie machen sie auch schwer erträglich, weil sie immer noch eines draufsetzen wollen. “Small is beautiful” – meistens reicht das Ausgangswort aus.

Lassen sie einfach mal was weg. Haben Sie Mut zur Durchschnittlichkeit, zum Normalmaß, und Ihre Sprache wird ruhiger. Und wie wir ja wissen: In der Ruhe liegt die Kraft.